Und der nächste deutsche, russische Spion

Professionelle Amateure, Größenwahn und Medienrummel

Die wundersame Welt der Nachrichtendienste

Und eine zweite Perspektive möchte ich anbieten. Dazu muss man aber ein wenig über Nachrichtendienste und Geheimhaltung sprechen.

Auf fast jedes Dokument der Bundeswehr kommt erst einmal der Stempel „VS – NfD“: „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“. (Beim dritten „s“ bin ich nicht sicher. Son’n neumodisches Zeug gab es damals noch nicht.)
Steht „NATO – Restricted“ drauf, wird es schon heikler. Denn das bedeutet zwar das Gleiche. Ist aber international. Was bedeutet, das Dokument ist von einer Brisanz, die über die Landesgrenze hinaus geht.

Eine weitere Abstufung ist das „Vertraulich“. Auch hier gilt wieder, wenn das „NATO – Confidential“ draufsteht, wird es heikler.
Und dann erst kommt Geheim (Secret) und Streng geheim (Top Secret). Innerhalb der NATO gibt es noch weitere, beispielsweise „Four Eyes Only“. Was bedeutet, ein Dokument darf nur Mann zu Mann übergeben werden. Wahrscheinlich gibt es auch noch andere Einstufungen, dass man sich selbst und das Dokument nach dem Lesen erschießen muss oder so. Aber das war über meiner Gehaltsklasse.

Wirklich brisant sind eigentlich nur drei Arten von Informationen.

  • Das erste ist, was Informationen darüber enthält, wie man an Informationen kommt. Also beispielsweise Informationen über Agenten („Quellen“), die der eigene Staat in einem anderen Staat hat. Was aber üblicherweise keine James Bonds sind, sondern angeworbene Mitarbeiter aus Behörden, Unternehmen oder Sekretärinnen, die mit ihrem Politiker-Chef abends kuscheln.
  • Das zweite ist, was Informationen darüber enthält, welche Informationen man selber hat. In meiner Haupt-Dienststelle war absolut alles Aktuelles erstmal sofort „Confidential“, also vertraulich. Das darf man auch anderen Soldaten außerhalb nicht erzählen. Einzelne Informationen darüber hinaus, wenn wir beispielsweise ein russisches U-Boot gesichtet hatten, war sofort Secret.
    Diese Informationen haben meist eine kurze Halbwertzeit.
    In diese Kategorie würde ich die Informationen einordnen, die Dänemark, Schweden und Deutschland ganz sicher schon zu Nord Stream haben. Klar, die Russen wissen, dass wir die Ostsee beobachten und belauschen. Sie wissen aber nicht, wie gut, genau oder schnell wir sind.
    Und in diese Kategorie fallen die meisten der durch den amerikanischen, strunzdummen Reservisten geleakten Dokumente. Auch so ein Größenwahnsinniger.
  • Die dritte Kategorie sind Informationen über die Wehrkraft. Also beispielsweise wie viele Panzer nun genau an der polnischen Grenze stehen oder wie weit die Taurus wirklich fliegt. Denn die wird ja nicht nach exakt 500 Kilometern vom Himmel fallen. Und der Leopard II ist auch deutlich schneller als die angegebene Geschwindigkeit von 72 km/h. (Nachfragen dazu bitte am Übungsplatz Bergen, mit welchen Geschwindigkeiten da Leos geblitzt wurden. Oft. Sehr oft. Gnihihi.)

Alles, was keine dieser drei Arten von Informationen enthält, ist nachrichtendienstlich eher Mittelstrahl.

Bewerbungsschreiben an Russland

Die Frage ist nun also, was unser russischen Amateurspion nun an Informationen hatte.
Und da können wir die ersten beiden Kategorien sicherlich ausschließen.
Ein Offizier – egal ob Fachoffizier oder nicht – im Bundesbürokratenamt wird keine Informationen zur aktuellen Lage oder zu Quellen im Ausland haben. Höchstens zu Socken. Oder zu Schuhcreme.

Ok, er könnte Informationen zur Wehrkraft haben. Könnte! Beispielsweise wie viele Panzer neu bestellt wurden, welche Panzer überholt werden oder auch technische Daten zu Flugabwehrsystemen.
Aber es ist doch mehrfach fraglich. Ob ausgerechnet er diese Informationen hatte, ob er diese Informationen rausschmuggeln konnte (offensichtlich konnte er ja nicht) und ob sie irgendwie relevant genug waren.

Und dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass Thomas H. nicht von Russland angeworben wurde. Da ist kein FSBler (russischer Nachrichtendienst, Nachfolger des KGB) hingegangen, hat monatelang angebahnt um ihm dann Geld anzubieten. Dieser Blitzgescheite hat sowohl die russische Botschaft in Berlin als auch das Generalkonsulat in Bonn angeschrieben. Offenbar sogar per Mail.
Er hätte sich auch gleich mit einem Schild vor die russische Botschaft stellen können, dieser Amateur. Nichts ist für den Nachrichtendienst weniger Vertrauenswürdig, als wenn jemand etwas aus Idealismus macht. Das kann ein Doppelspion sein. Alle wollen Geld, keiner macht sowas für lau.

Hätte ich brisante Informationen zu verkaufen, würde ich erstmal so anonym wie es geht Kontakt aufnehmen, um dann einen neuen Kommunikationskanal zu etablieren. (Toter Briefkasten o.ä.) Um darüber dann einen weiteren Austausch, beispielsweise durch persönliche Treffen mit einem Führungsoffizier, zu vereinbaren.

So etwas ist Arbeit, kostet Zeit und ist ein Risiko. Man sollte also sicher sein, dass man entweder über einen längeren Zeitraum Informationen liefern kann. Oder dass die Informationen, die man hat, so viel wert sind, dass man sich aus dem Land verpissen kann.

Ein ehemaliger Chef meiner Stammeinheit hatte sich kurz vor meiner Dienstzeit in die DDR abgesetzt. Inklusive Dokumente und Möbel. Angeworben durch eine Venus-Falle. Aber das ist eine längere Geschichte.

Der Medien-Zirkus

In meinen Augen ist es so absurd bräsig eine Mail an die Botschaft zu schicken, dass es schon wieder lustig ist. Jetzt mal ehrlich, der Typ schnüffelt doch Klebstoff und leckt gelben Schnee. Kognitiv Teilmöbliert©.
Es tut mir leid, aber ich wurde nach meiner Meinung gefragt. Bei so viel Unverstand kann ich dann auch nicht an mich halten.

Im Mai hat Thomas H. versucht Kontakt aufzunehmen, Ende Juli wurde der Haftbefehl ausgestellt. Keine Ahnung, ob die Russen überhaupt geantwortet haben. Eine erstaunlich kurze Karriere als „Spion“.

Um es nochmal deutlich zu machen: Das ist meine persönliche Perspektive. Aufgrund der Informationen, die jetzt öffentlich sind.
Aber ich habe so das Gefühl, dass ich vermutlich richtig liege. Lag ich bei allen anderen auch. Ich kenn doch meine Pappenheimer.

Der Politik-Zirkus

Was wir nun sehen, ist der übliche Politiker-Medien-Tanz.
Die Meldung hat Potenzial, und jetzt kommen alle Politiker aus dem Gebüsch gesprungen, die meinen, etwas dazu zu sagen zu haben. Meist irgendwelche Hinterbänkler, die mal wieder im Gespräch sein wollen. Und die Medien berichten und titeln und spekulieren auf Clickbait komm raus.

Der stellvertretende Fraktions-Vize der SPD Dirk Wiese fand, „dass sehr oft Personen, die offensichtlich mit der AfD sympathisieren und ihr nahestehen, sensible Informationen an Russland geben, um gezielt unserem Land zu schaden“. Das ist grundsätzlich nicht falsch. Aber ist das in diesem Fall tatsächlich so? Ich kann mir schwer vorstellen, dass Wiese da mehr Informationen hat als jeder andere.
Daraufhin schreiben nun andere Medien, Thomas H. habe „laut Medienberichten der AfD nahegestanden“. Halte ich für wahrscheinlich, aber von einem Politiker ist das doch eher ins Blaue geschossen.

Schön formulierte es Kiesewetter von der CDU. Er sieht „eine mir unbegreifliche Russland-Romantik, wie sie beispielsweise auch der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat offen zur Schau stellt – dass das beim ein oder anderen in der Bundeswehr dann verfängt, darf uns nicht wundern.“

Das kann ich unterschreiben. Ich glaube, viele haben nicht realisiert, dass wir uns in einem Wirtschaftskrieg und Stellvertreterkrieg mit Russland befinden. Und dass Russland der Feind ist.
Es ist nicht so, dass ich das will. Es ist einfach so. Und viele, vor allem Anhänger der AfD und der verpufften Wagenknecht-Friedensinitiative, kapieren es nicht. Oder wollen es nicht.

Ein Haufen professioneller Amateure

Im November wurde der Reserveoffizier Ralph G. vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Spionage verurteilt. Im stolzen Alter von 65.
Soll ich’s nochmal schreiben?
Mit 65.
Reserveoffizier.
Er hatte über sechs Jahre Informationen an Russland gegeben, die durchaus interessant hätten sein können. Trotzdem wurde er nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Weil die Informationen alle offen waren. Die Russen hätten sie selber finden können, wenn sie sie gesucht hätten.
Das Gericht bescheinigte dem Senioren-James-Bond eine „extrem russlandfreundliche Einstellung“ und ein Drang, „sich bei russischen Militärangehörigen beliebt und wichtig zu machen“.

Was ist eigentlich aus dem Putschversuch um unseren Prinzen geworden? Bei dem sich sogar eine Juristin und Bundestagsangehörige der AfD so maximal dämlich angestellt hat?
Da schrieben die Medien auch, es seien Soldaten der „Eliteeinheit“ KSK mit dabei gewesen. Eine kurze Recherche hat gezeigt: Der erste war Kommandeur und rausgeschmissen worden, der nächste war Feldwebel im Geschäftszimmer und der dritte war ein offenbar altersseniler Logistiker aus dem Generalstab. Alle drei weit von „Elitesoldat“ entfernt.

Und genau so ordne ich auch Thomas H. ein. Ein professioneller Amateur, der jetzt für seinen Größenwahn erstmal brummt.
Und genauso sind die Reaktionen der Medien einzuordnen.
Und während ich dies tippe, erscheinen die ersten Folge-Beiträge: „Politiker fordern Konsequenzen“.
Es ist nur noch absurd.

Vielleicht rufe ich heute Abend ein paar alte Seilschaften an. Gibt bestimmt einiges zu lachen.

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