Rammstein: Ein gemachter Skandal

Ich musste diesen Beitrag schreiben. Ich musste einfach.

Rechercheteam NDR und SZ

Publik geworden ist dieser vermeintliche Skandal dann durch die Veröffentlichungen des Rechercheteams von NDR und SZ. Zeitlich zwischen Lynn und dem Video von Shyx.

Die Erkenntnisse bleiben eher oberflächlich. Berichtet wird von zwei konkreten Fällen.
In einem Fall behauptet eine „Cynthia A.“ (22) vor einem Konzert im Februar 2022 von Lindemann in einen Hinterraum gerufen worden zu sein. Dort habe sie Sex mit Lindemann gehabt, nach dem sie geblutet habe. Zitat: „In dem Moment habe ich nur gedacht: Oh mein Gott, das tut weh, hoffentlich ist es bald vorbei.“ (Tagesschau, 02.06.2023)

Cynthia A. sei nicht zur Polizei gegangen, so das Rechercheteam. „Die Frau habe nicht ausdrücklich Nein gesagt, sich aber extrem unwohl gefühlt.“

Der zweite Fall ist der von „Kaya R.“ (21).

„Laut ihren Erinnerungen habe Lindemann auf ihr gelegen, als sie wieder zu sich gekommen sei und habe sie gefragt, ob er aufhören solle. Und ich wusste nicht einmal, womit er aufhören will.“ Lindemann sei dann irgendwann gegangen. Mitglieder seines Teams hätten ihr später Drogen angeboten. Das habe sie abgelehnt.“

Tagesschau, 02.06.2023

Beide Aussagen sind unbestreitbar emotionalisierend. Denn beide legen den Verdacht nahe, dass Lindemann mit diesen jungen Frauen Sex hatte, ohne dass sie ihr Einverständnis gegeben hatten bzw. geben konnten.
Doch in beiden Fällen wäre zu prüfen, ob es überhaupt so stattgefunden hat und ob ein eventueller Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich war. Aus den veröffentlichten Aussagen geht das nicht eindeutig hervor.

Die Brücke, über die der Leser geführt wird

Alles weitere wird von den Journalisten sehr vage und zusammenfassend dargestellt. (Ich gehe gleich darauf ein warum.)
Die Berichterstattung schlägt hier nämlich eine Brücke. Es wird davon berichtet, dass es durch das System Row Zero „offenbar systematische Anbahnungen“ gegeben habe. Offenbar!
Doch der Graben, ob dies in einem Zusammenhang mit dem möglichen Missbrauch stehe, wird übersprungen.

Mehrere Frauen berichten über ihre Einladungen zu After-Show-Partys. Für die inzwischen ziemlich unisono der framende Begriff „Rekrutierungen“ verwendet wird. Eine Frau berichtet davon, dass ihr gegenüber dabei Bereitschaft zum Sex mit Lindemann nahegelegt worden sei. Von wem und in wessen Auftrag wird nicht gesagt. Ob Lindemann überhaupt etwas davon wusste, geht daraus ebenso wenig hervor, wie die Frage, ob es danach zum Sex gekommen ist.

Eine ungenannte Anzahl von Frauen haben nach Aussagen der Journalisten eidesstattliche Versicherungen abgegeben. Auch damit habe ich ein Problem.
Man kann in Deutschland eine Versicherung an Eides statt abgeben. Dies dient dazu, einer Aussage eine besondere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Denn beeidet man eine Falschaussage, ist das strafbar. Deshalb muss eine solche eidesstattliche Aussage vor einer legitimierten Behörde abgegeben werden. Beispielsweise vor einem Gericht.

Eine eidesstattliche Aussage vor Journalisten hat jedoch keinerlei rechtliche Relevanz. Man kann den größten Mumpitz erzählen, „Versicherung an Eides statt“ drüber schreiben und es sogar notariell beglaubigen lassen. Es hat keine Folgen. Es ist eine Augenwischerei, um die Aussagen unanfechtbar erscheinen zu lassen.
Auch Rezo verwendet im Binder bei Zitaten den Hinweis „eidesstattliche Aussage“, als wenn das etwas zu bedeuten hätte.

Die „Rekrutierung“

An dieser Stelle ein weiterer Hinweis:
Die jungen Frauen wurden von der Russin Alena Makeeva „rekrutiert“. Diese bezeichnet sich auf ihrem Instagram Profil als „Casting Director“ („On the tour with @till_lindemann_official). Weitestgehend unbeachtet blieb die Veröffentlichung, dass Makeeva gar kein Geld von Rammstein erhalten hat. Sie war laut Rammstein nie offiziell mit dieser Funktion beauftragt.

Screenshot Instagram Profil von Alena Makeeva

Nun könnte man meinen, dass dies aus Vorsicht unter der Hand geregelt wurde. Wenn man davon ausgeht, dass sie dafür da war, Lindemann freiwillige oder unfreiwillige Sexpartnerinnen zuzuleiten.

Am 07.06. veröffentlichte Alexander Prinz auf seinem YouTube Kanal „Der dunkle Parabelritter“ ein Video, in dem er es „an der Zeit“ fand „tiefer in das Rammstein- und Lindemann-Thema“ zu gehen. In etwa 21 Minuten bespricht auch er jedoch weniger neue Informationen zu Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs, sondern schildert aus eigenen Erfahrungen das, was als „Rekrutierung“ bezeichnet wird. Und er erklärt, dass er in seiner Zeit als Webvideo-Produzent im Bereich Heavy Metal eine deutsche Frau kennenlernte, die im Grunde das gleiche machte, wie Makeeva. Auch diese Frau ist laut Prinz nicht von Rammstein bezahlt worden.
Von ihr ist in den großen Medien bemerkenswerterweise keine Rede.

Makeeva bei einem Event der Band Coldplay 2022 (Screenshot, Instagram)

Ich erkenne darin das, was mir aus dem Bereich der Musik und Messe gut bekannt ist. Und was Prinz recht ähnlich beschreibt. Um die vermeintlichen Stars entwickelt sich eine Blase, die Nutzen daraus zieht, dort zu sein. Das Umfeld, die Entourage.
Das beginnt bei Leuten, die auf Dorfkonzerten beim Aufbau helfen, um mit den Musikern Backstage saufen zu können und einen wichtig erscheinenden Ausweis am Lanyard um den Hals zu tragen. Und das endet bei denen, die das als Influencer ausnutzen, eigene Unternehmen gründen, sich exzessiv auf Social Media darstellen und alleine dadurch ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Diese Menschen nutzen ein Machtgefälle, das den Stars von den Fans gegeben wird, um selber eine Form von Macht darzustellen. Zudem sind Aufmerksamkeit und Anerkennung ein immer wieder unterschätztes psychologisches Motiv. Umso labiler, unsicherer oder jünger ein Mensch ist, umso empfänglicher ist er dafür.

Fassen wir zusammen

Halten wir an dieser Stelle für einen Moment inne. Wagen wir ein zwischenzeitliches Resümee. Nüchtern, sachlich, ohne Vorverurteilung eines oder mehrerer angeblicher Täterinnen und Täter.

Wir haben zwei Aussagen von jungen Frauen, Kaya R. und Cynthia A., die einen möglichen sexuellen Missbrauch nahelegen. In einem Fall behauptet das mutmaßliche Opfer, nicht nein gesagt zu haben. Im anderen Fall behauptet das mutmaßliche Opfer, besinnungslos gewesen zu sein.

Missbrauch ist kein Antragsdelikt. Erhält eine Staatsanwaltschaft Kenntnis von einer möglichen Straftat, muss sie zumindest prüfen, ob der Verdacht ausreicht um Ermittlungen einzuleiten. Das mutmaßliche Opfer wird gar nicht gefragt, ob es damit einverstanden ist. Allerdings müssen solche Ermittlungen ein Ergebnis versprechen und dem Interesse der Öffentlichkeit dienen. Letzteres dürfte allemal erfüllt sein.

Darüber Hinaus haben wir die Schilderung der Irin Shelby Lynn, die mindestens fragwürdig ist. Und die von mindestens zwei Zeuginnen anders dargestellt wird.
Dabei geht es aber ausdrücklich nicht um sexuellen Missbrauch, sondern um das Verabreichen von Betäubungsmitteln. Denn es hat ja kein Sex stattgefunden.

Am 10.06. wurde durch die Bild Zeitung veröffentlicht, dass es durch die litauischen Behörden im Fall Shelby Lynn kein Verfahren geben werde.

Die dritte Aussage zu dem Thema kommt von der Influencerin Kaya Shyx. Die jedoch weder einen sexuellen Missbrauch noch das Verabreichen von Drogen beschreibt. Sondern lediglich eine in der Branche übliche After-Show-Party mit jungen Frauen, die von vielen Bands und Veranstaltern zu Zwecken der Promotion veranstaltet wird. Stichwort Row Zero.
Sie stellt es so dar, dass die jungen Frauen eingeladen wurden, damit Till Lindemann sich eine von ihnen zum Sex aussuchen kann. Das ist eine Mutmaßung.

Alle darüber hinausgehenden Aussagen sind emotionalisierte Meinungsäußerungen und Hörensagen. Angebliche Berichte und Aussagen von mutmaßlichen Opfern, die über zumeist private Nachrichten an diejenigen geschickt wurden, welche bereits entsprechend berichtet hatten. Nicht nur bei Shyx.

Die Verfestigung eines Vorwurfs

Auf diesen Fällen baut die gesamte Berichterstattung der Medien auf. Ohne dies jedoch so deutlich zu formulieren.
Daran hängen sich dann die Sekundären. Webvideoproduzenten wie Rezo, Alexander Prinz (Parabelritter), Kaya Loska (Kaya Shyx) und andere. Ohne jedoch zu den Vorwürfen weiter zu recherchieren oder diese zu hinterfragen. Sie werden nicht einmal genauer erklärt. Und das zum Teil in mehreren Folgevideos.

Stattdessen wird über das System Row Zero gesprochen. Das in der Branche jedoch üblich ist. Und es wird über ein Machtgefälle philosophiert, das ausgenutzt wird. Das den Stars von diesen jungen Frauen überhaupt erst gegeben wird.

Dabei verschwindet jegliche Kontextualisierung. Der Zusammenhang zwischen Row Zero, Rammstein, Lindemann, Roofies, sexuellem Missbrauch und Straftaten verschwimmt. Alles wird in einen Topf geworfen, in dem ein subjektives Bild und eine Vorverurteilung zusammengebraut wird.

Jahn Böhmermann scherzt in einem Nebensatz während der letzten Sendung Magazin Royal (09.06) über Rammstein, Drogen und Blowjobs. Das Browser Balett witzelt am 07.06. auf Facebook über die Distanzierung von Makeeva durch Rammstein, weil sie ihren Aufgaben nicht gerecht geworden wäre, Lindemann Frauen „zuzustellen“, die sich „freiwillig“ unter Drogen setzen lassen und Sex mit ihm haben.
Das verfestigt den Eindruck, es sei alles längst bewiesen und ausgemacht.

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